Spielt die Reihenfolge beim Essen eine Rolle?

Zuerst das Gemüse, dann die Hähnchenbrust, dann die Nudeln: Warum das tatsächlich einen Einfluss auf unsere Blutzuckerkurve hat, erklärt eine Expertin.

Illustration: Ryan Gillet

Katharina Timper ist Endokrinologin und Direktorin der Klinischen Ernährungsmedizin an der TUM und dem TUM Universitätsklinikum. Am Olympiapark in München baut sie ein Präventions- und Stoffwechselzentrum mit Spezialisierung auf Adipositas auf. Zuvor war sie leitende Ärztin und Adipositas-Spezialistin an der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Metabolismus am Universitätsklinikum in Basel tätig.

»Ja, die Reihenfolge, in der wir essen, kann tatsächlich einen Einfluss auf den Blutzuckerspiegel haben – das ist mittlerweile gut belegt. Dazu wurden Studien durchgeführt mit Menschen, die einen gestörten Blutzuckerstoffwechsel aufweisen, etwa bei Diabetes Typ 2, Prädiabetes oder Schwangerschaftsdiabetes, aber auch mit gesunden Menschen. Die Prinzipien sind plausibel.

Wenn man zuerst ballaststoffreiches Gemüse oder Eiweiß isst und erst zum Schluss die Kohlenhydrate, fällt der Blutzuckeranstieg deutlich geringer aus, als wenn man die gleiche Mahlzeit in umgekehrter Reihenfolge isst. Die Studien zeigen: Der Unterschied kann bis zu 50 Prozent betragen – das ist schon eindrücklich. Das bedeutet also, dass ich zuerst Salat, danach Hähnchenbrust und zum Schluss Nudeln essen sollte um den Blutzuckeranstieg möglichst flach zu halten.

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Warum ist das so? Wenn der Magen schon durch das faserreiche Gemüse und Eiweiß gefüllt ist, also schon beschäftigt ist mit der Verdauung, werden die Zuckeranteile aus den Kohlenhydraten später und langsamer aufgenommen. Zudem ist die Magenentleerung verlangsamt und die Ausschüttung bestimmter Darmhormone erhöht. Das verhindert starke Blutzuckerspitzen, das bedeutet, dass der Blutzucker in kurzer Zeit sehr stark ansteigt, was eine starke Insulinausschüttung bewirkt. Besonders relevant ist das für Menschen mit einem erhöhten Risiko für eine Insulinresistenz: etwa durch Adipositas, familiäre Vorbelastung oder Schwangerschaftsdiabetes. Denn ein starker Insulinanstieg kann im Anschluss zu einem schnellen Abfall des Blutzuckers führen. Das hat zur Folge, dass man schnell wieder hungrig ist, erneut isst, auch über seinen Bedarf hinaus, was eine Gewichtszunahme begünstigt.

Aber nicht nur auf die Reihenfolge kommt es an: Komplexe Kohlenhydrate führen ebenfalls  zu einem langsamen Blutzuckeranstieg – und machen länger satt. Das bedeutet, man sollte lieber zu Hülsenfrüchten greifen, statt zu leicht verfügbaren Zuckerquellen wie Weißbrot, Donuts und Süßgetränke. Insgesamt soll es nicht um Verbote oder strikte Regeln gehen. Essen soll immer auch Genuss sein. Wer sich zu sehr auf die Optimierung beim Essen versteift, kann in ein ungesund restriktives Essverhalten oder sogar eine Essstörung rutschen. Eine ausgewogene Ernährung ist gut, doch die Freude und der Genussaspekt beim Essen müssen erhalten bleiben.«